LIEFERKETTENMANAGEMENT
OPEN MINDED
LIEFERKETTENMANAGEMENT - EIN KRISENTHEMA?
Die Lieferkette in Unternehmen bekommt immer in Krisenzeiten besondere Aufmerksamkeit. Dabei sollten Unternehmen die Beziehung zu ihren Lieferanten dauerhaft im Blick behalten und ihren Einkauf nebst Logistik – eben die Lieferkette – beständig evaluieren und, wo nötig anpassen.
Das Trügerische an der Lieferkette ist ihre scheinbare Belastbarkeit in wirtschaftlich gesunden Zeiten.
Dann nämlich kann man gefahrlos einzelne Aspekte wie etwa Einstandspreise oder kurzfristige Produktverfügbarkeit unter Idealbedingungen fokussieren. Je länger ökonomisch stabile Phasen dauern, desto weiter rückt eine holistische Risikobetrachtung der Lieferkette in den Hintergrund.„Es läuft ja“ bekommt man von Entscheidern dann oft zu hören.
In Krisensituation, sei es unternehmensbezogen oder gesamtökonomisch, zeigt sich plötzlich die wahre Belastbarkeit der Lieferkette. Wenn einzelne Lieferanten ausfallen, Transportwege nicht mehr funktionieren, im Extremfall Staaten kollabieren, reißt die Lieferkette ab oder es kommt zu empfindlichen Engpässen.
Durch ein Lieferkettenmanagement, das Risiken ausgewogen und nicht nur einzelne Erfolgsfaktoren betrachtet, erreichen Unternehmen ein optimales Profil im Dreiklang
- Kosten
- Funktionalität/Kundennutzen
- Risiken
und bauen eine stabile, belastbare Lieferkette auf, die ihnen einen klaren Wettbewerbsvorteil bietet.
Lieferketten sind heute in den meisten Fällen international und teils auch global organisiert. Rohmaterialen, Vorprodukte und fertige Güter werden nicht selten um die halbe oder ganze Welt geschickt. Das liegt an relativ niedrigen Transportkosten, an lokalen (günstigen) Kostenstrukturen, aber auch an Absatzmärkten, die eine Endfertigung vor Ort einfordern oder begünstigen, jedoch kein Biotop an Zulieferern haben. Das lässt sich nicht über Nacht ändern.
Der Aufbau belastbarer Lieferketten braucht also Zeit, nach unserer Erfahrung bis zu zwei Jahren einschließlich Entwicklung der Lieferanten auf das gewünschte Niveau.
IDie Lieferketten-Task Force
Wir schlagen im akuten Krisenfall, aber auch im Routinegeschäft eine multifunktionale Task Force vor, die mit Verantwortung und einer klar definierten Entscheidungskompetenz ausgestattet ist und agil
- also schnell und unbürokratisch – arbeiten kann. Dann muss zwischen dem Normal-Modus und dem Krisen-Modus unterschieden werden: Diese Task Force kann im Krisenfall neue, zeitlich begrenzte Regeln einführen und diese sofort umsetzen. Zwar dürfen in keiner Weise Qualität oder Sicherheit leiden, jedoch müssen Entscheidungen über Kernkriterien wie Kosten, Lagerhaltung und Anbindung alternativer Lieferanten möglich sein, ohne eventuell tradierte langwierige Wege einzuhalten.
Die Task Force sollte sich bei produzierenden Unternehmen – dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft
- interdisziplinär aus den Funktionen Engineering, Einkauf, Logistik, Produktion und Finanzen zusammensetzen. Diese Teams werden täglich Zusammenarbeiten, je nach Unternehmensgröße auch global vernetzt sein. Ob diese im Büro (Control Center) oder vom Home Office aus zusammen arbeiten, darf hier keine Rolle spielen.
Bereits hier beginnen die Schwierigkeiten für viele kleinere Unternehmen. Oft sind die richtigen Mittel nicht verfügbar, um die Mitarbeiter digital arbeiten und interagieren zu lassen. Dabei meinen wir hier eher strukturelle oder datentechnische Themen als arbeitsrechtliche oder datenschutzrechtliche Fragen, die selbstverständlich sehr genau betrachtet sein wollen.
Überhaupt ist die Bildung von interdisziplinären Teams in dieser Zusammensetzung, noch dazu mit Entscheidungskompetenz, eine Herausforderung. Hier gilt, eine Organisation und vor allem die Entscheider wachzurütteln für Risiken zu sensibilisieren. Das müssen in den Risikothemen qualifizierte Führungskräfte und Mitarbeiter mit entsprechender fachlicher Autorität übernehmen. Eine trainierte Organisation wird diese Risiko- und Fehlerkultur positiv begreifen und elastisch reagieren. Sind überdies digitale Kommunikationstools in einer Organisation der Standard, ist die schnelle Zusammenarbeit auch unabhängig vom Standort einzelner Teammitglieder möglich, und Krisen können ebenso schnell abgefangen werden.
Merkmale einer belastbaren Lieferkette
- Sehr lange, in stabilen Zeiten zuverlässige Lieferketten werden durch kürzere Lieferketten als Alternative abgesichert (allein im Jahr 2019 hat die deutsche Wirtschaft laut BMWi Güter im Wert circa 106 Mrd. € aus China beschafft)
- Abkehr vom so genannten Single-Sourcing – auch für extrem anspruchsvolle Produkte oder reine Massenprodukte (Commodities) wird mindestens ein alternativer Lieferant an einem zweiten Standort aufgebaut
- Die reine Low Cost-Strategie wird durch eine Best Cost-Strategie, die auch weitere Faktoren wie Nähe, Zuverlässigkeit etc. einbezieht, abgelöst
- Das Denken „Just-in-Sequence“ mit minimiertem Lagerbestand wird abgelöst durch eine an Risikoszenarien angepasste Lagerstrategie (selbst und 3rd-Parties)
- Für besonders kritische Teile oder Vorprodukte wird die heimatnahe Rückholung oder bei Neuheiten die direkte Ansiedelung der Produktion am Flauptstand- ort in Erwägung gezogen
- Die stabile Verfügbarkeit von Produkten in der gewünschten Funktionalität und Qualität ist essenzieller Baustein des Kundennutzens und wird a) offensiv eingepreist oder b) bei geforderten Preisnachlässen ausdrücklich nicht mehr garantiert
- Software, Datenbanken und Kl-Systeme werden verstärkt genutzt, um den Überblick über Beschaffungsmärkte und Engpässe zu erhalten
- Eine interdisziplinäre Task Force steuert den Beschaffungsprozess systematisch, sie erkennt und benennt Risiken, hält Szenarien vor und greift im Krisenfall sofort ein
- Beide Faktoren (IT und Task Force) können über so genannt digitale Zwillinge in Echtzeit die Realität abbilden und Auswirkung von Krisen oder Störungen modellieren, evaluieren und in Blaupausen überführen
- Die interdisziplinäre Task Force betreibt auch ohne Krisensituation einen regelmäßigen Wissensaustausch und etabliert ein agiles Wissensmanagement sowie ein systematisches Wissenscontrolling zu allen Aspekten der Lieferkette
Steuerliche Faktoren des Lieferkettenumbaus
- Verlagerungen von Produktionen innerhalb der EU haben andere Implikationen als solche zwischen der EU oder Drittländern – hier muss der Einzelfall genau geprüft werden
- Gleiches gilt für die Verlagerung von Beschaffungen über lokale Drittanbieter, die entweder an die lokale eigene Tochtergesellschaft oder etwa an die deutsche Muttergesellschaft liefern
- Sämtliche Verlagerungen zwischen Ländern können Auswirkungen auf die Verrechnungspreise und damit Auswirkungen sowohl auf die Steuern der Landesgesellschaft als auch der Führungsgesellschaft (z.B. Holding) haben
- Die Verrechnungspreise müssen gut dokumentiert und einem Drittvergleich standhalten, andernfalls drohen steuerliche Nachteile
- Bei Beschaffungs- und Produktionsverlagerungen kann es zu Gewinnverlagerungen kommen – hier besteht das nicht zu unterschätzende Risiko einer Exitbesteuerung in den jeweiligen Ländern
- Neuorganisationen der Lieferkette können das Gefüge der Wertschöpfungsbeiträge einzelner Gesellschaften oder Funktionen durcheinanderwirbeln – dabei zielt die Neustrukturierung der Wertschöpfungsbeiträge weniger auf Geldflüsse als auf den Zugewinn an Werten (Gewinnpotenzial) ab, was wiederum die Festlegung neuer Transferpreise beinhalten kann
- In diesem Szenario müssen auch Kapitalisierungszinsen auf neu zugewiesene Gewinne und deren steuerliche Auswirkungen nebst Gestaltungsmöglichkeiten betrachtet werden
- Verlagerungen jeglicher hier skizzierten Art ziehen eine besondere Dokumentationspflicht nach sich, es handelt sich selbst bei sehr dynamischen global verteilten Unternehmensgruppen mitnichten um Routinevorgänge im Tagesgeschäft, sondern um außergewöhnliche Geschäftsvorfälle im Sinne des § 90 Abs. 3 AO – hier ist unbedingte Sorgfalt angeraten
Rechtliche Faktoren des Lieferkettenumbaus
- Gerade bei Lieferketten muss die Einhaltung der nationalen und lokalen Gesetze gewährleistet sein (Compliance) – was erlaubt und verboten ist, kann schon innerhalb der EU stark variieren
- Es bedarf gut abgestimmter vertraglicher Regelungen: Für Lieferketten mit Bezug auf Drittländer außerhalb der EU, aber auch innerhalb der EU muss geklärt sein, welches Recht Anwendung findet und welches Gericht und Schiedsinstitution zuständig ist
- Es ist zu klären, ob sich Urteile oder Schiedssprüche in dem jeweiligen Land rechtlich und faktisch vollstrecken lassen. In Russland beispielsweise können Urteile europäischer Gerichte mangels Anerkennung nicht vollstreckt werden, Schiedssprüche jedoch schon, Tipp: Schiedsgerichte sind meist international anerkannt
- Es muss bei allen Klauseln, insbesondere bei AGBs, geprüft werden, ob diese in den anderen Ländern wirksam sind. In den Niederlanden etwa sind verlängerte Eigentumsvorbehalte meist unwirksam
- Für Klauseln zu Force-Majeure und Krisen muss neben der rechtssicheren Geltung sichergestellt werden, welche formellen Voraussetzungen gelten, wie beispielsweise in China ein „Force Majeure-Zertifikat“, welches auf Antrag des Unternehmens Unternehmen mit Sitz in China vom China Council fbr the Promotion of International Trade (CCPIT) ausgestellt wird
- Krisenfälle bedürfen besonderer Vorsorge wie beispielsweise eine Force Majeure-Klausel, welche auch im Drittland Anwendung finden muss; diese Klauseln müssen dann möglichst viele Gründe für Force Majeure enthalten, also etwa nicht nur den bekannten Erdbebenfall sondern etwa auch eine Pandemie
- Es sollte UN-Kaufrecht vereinbart und nicht ausgeschlossen werden, da dies zumindest in den Unterzeichnerstaaten gilt und es hierzu Rechtsprechung, und somit eine gewisse Rechtssicherheit gibt (etwa Art. 79 CISG)
- Die jeweiligen nationalen Ausfuhrbedingungen müssen überprüft werden, als auch die Zoll- und Einfuhrbedingungen: Viele Produkte müssen auf dem europäischen Markt erst zugelassen werden, beschlagnahmt sie der Zoll
- Es sollte genau geprüft werden, welche internationalen Lieferbedingungen (INCOTERMS) wirksam vereinbart sind